Trichotillomanie
Betroffene einer Trichotillomanie reissen sich zwanghaft die Haare aus. Dabei werden mehrmals täglich und über mehrere Stunden hinweg die Haare zwanghaft ausrissen, bis sich kahle Stellen am Kopf bilden.
Wir klären auf, wie es zum zwanghaften ausreissen der Haare kommt und was man dagegen tun kann.
- Autorin: Julia Dernbach
- Aktualisiert: 4. April 2023
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Zwanghaftes Haareausreißen
Bei Trichotillomanie handelt es sich um den Zwang, sich die Haare selbst auszureißen. Demnach ist Trichotillomanie eine psychische Erkrankung und wird gemäß offiziellem Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation der Gruppe der „Abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ zugeordnet.
Es ist davon auszugehen, dass bereits Kinder im Vorschulalter davon betroffen sind, im Jugend- und Erwachsenenalter leiden vermutlich Mädchen und Frauen öfter unter der Zwangsstörung. In welcher Häufigkeit Trichotillomanie tatsächlich auftritt, ist aufgrund einer vermutlich hohen Dunkelziffer unklar.
Das Wort Trichotillomanie setzt sich aus den griechischen Bezeichnungen „tricho“ für Haar, „tillo“ für rupfen und „mania“ für triebhaftes und süchtiges Verhalten zusammen.
Trichotillomanie ist ein seelisches Krankheitsbild. Das Zupfen der Augenbrauen oder von Gesichtshaaren im Rahmen von kosmetischen Behandlungen gilt allerdings nicht als Trichotillomanie.
Ursachen für Trichotillomanie
Bislang konnten eindeutige Ursachen für die Entwicklung einer Trichotillomanie nicht geklärt werden. Mitunter sind die Auslöser bei jedem Betroffenen sehr individuell.
Genetische Disposition
Eine erbliche Disposition in Zusammenspiel mit bestimmten Auslösern im Gehirn scheint zu einem Ungleichgewicht von Neurotransmittern zu führen. Das wiederum könnte dazu beitragen, das zwanghafte Ausreißen der Haare zu begünstigen.
Traumatische Erlebnisse
Ein weiterer Grund für die Entwicklung einer Trichotillomanie können traumatische Erlebnisse sein. Dazu gehören beispielsweise der Tod eines Angehörigen, Probleme innerhalb der Familie (z. B. Scheidung der Eltern, Missbrauch) sowie Ereignisse, die das Selbstwertgefühl verringern. Einige Betroffene leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Stress
Ein sehr häufiger Grund für die Entwicklung von Zwangsstörungen ist Stress. Stehen Betroffene unter Druck und verspüren sie eine innere Anspannung, versuchen sie diese durch das Ausreißen von Haaren abzubauen. Das Ausreißen der Haare sorgt für Entspannung und mitunter auch Befriedigung. In der Folge entstehen allerdings Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen, was den Druck erneut ansteigen lässt und den Zwang wieder hervorruft. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem Betroffene nur schwer ausbrechen können.
Wie zeigt sich Trichotillomanie?
Wer unter Trichotillomanie leidet, reißt sich die Haare aus. Meist sind es die Kopfhaare, allerdings werden auch Augenbrauen, Wimpern, Barthaare oder Schamhaare ausgerissen. Ein typisches Anzeichen für Trichotillomanie sind daher kahle Stellen oder ausgedünntes Haar.
- Kahle Stellen wo sonst Haare sind
- Ausgedünntes Haar
Zudem haben viele Betroffene die Angewohnheit, noch mit den ausgerissenen Haaren zu spielen. Einige lassen die Haare durch die Finger gleiten, andere durch die Lippen. Wieder andere beißen die Haarwurzel ab oder essen die Haare sogar.
Von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie in Deutschland gibt es folgende Erklärung: Bei etwa der Hälfte der Betroffenen zeigen sich Gedanken wie „bestimmte Haare müssen gefunden und dann entfernt werden“ oder „Gedanken an Symmetrie“, welche zum Ausreißen der Haare führen.
Die wenigsten Betroffenen verspüren beim Ausreißen Schmerzen. In den meisten Fällen wird die Handlung des Haareausreißens nicht bewusst erlebt, der Drang wird aber sehr stark wahrgenommen.
Folgen von Trichotillomanie
- Optisch kahle Stellen
- Nachwachsen der Haare dauert oft lange
- Schamgefühle und sozialer Rückzug
Neben optischen hat die Trichotillomanie auch soziale Folgen für Betroffene. Sie schämen sich nicht nur für das Ausreißen der Haare selbst, sondern auch für die dadurch entstehenden kahlen Stellen. Deshalb haben sie häufig Schwierigkeiten, wenn es darum geht, soziale Kontakte zu knüpfen oder zu pflegen.
Bei Betroffenen, die außerdem den Drang verspüren, die Haare zu essen, kann sich das sogenannte „Rapunzel-Syndrom“ (Trichophagie) entwickeln. Haare sind für den Menschen nahezu unverdaulich. In der Folge kommt bildet sich also im Magen ein Haarknäuel. Daraus resultieren Oberbauchschmerzen, schlimmstenfalls kommt es zum Darmverschluss oder Darmdurchbruch. Dann ist eine operative Entfernung des Haarknäuels erforderlich.
Was hilft gegen Trichotillomanie?
Der Zwang, sich die selbst die Haare auszureißen, ist für Betroffene enorm belastend. Neben dem konstanten Drang selbst spielt natürlich auch die optische Komponente eine Rolle.
So entwickeln Patienten mit Trichotillomanie oft ein Schamgefühl und versuchen, die kahlen Stellen zu kaschieren. Das wiederum führt zu Verunsicherung und es entsteht ein Teufelskreis. Leider funktioniert es nur selten, einfach mit dem Ausreißen der Haare aufzuhören.
Neben klassischen Therapieansätzen gibt es aber durchaus einige Tricks, selbst einen Weg aus dem zwanghaften Verhalten zu finden. Die häufigsten Tipps gegen zwanghaftes Haareausreissen sind:
Vielen Betroffenen hilft es bereits, wenn sie ihre Finger mit etwas anderem beschäftigen (z. B. mit einem Haargummi). Auch ein sogenanntes Tangle ist hilfreich. Dabei handelt es sich um ein spielzeugähnliches Objekt, das aus mehreren Gliedern besteht, welche sich in alle Richtungen wie eine Schlange um die Hände winden lässt. Die Oberflächenstruktur ist unterschiedlich beschaffen, sodass die Finger den Eindruck haben, verschiedene Dinge zu berühren.
Da Stress im Verdacht steht, eine Trichotillomanie zu begünstigen, können Entspannungsübungen hilfreich sein. Als geeignet erweisen sich Yoga, Meditation oder auch autogenes Training.
Der Austausch mit Gleichgesinnten in einer Selbsthilfegruppe ist für viele Betroffene enorm hilfreich. Menschen, die mit der Zwangsstörung nicht leben, können die Handlungen oft nicht nachvollziehen. Wer sich aber mit Gleichgesinnten über die Probleme und mögliche Bewältigungsstrategien austauscht, reflektiert sein Problem deutlich besser und findet so schneller Hilfe bei der Bekämpfung.
Tipps für Angehörige
Angehörige und Freunde können nur schwer nachvollziehen, warum sich jemand selbst die Haare ausreißt. Allerdings bringen Sätze wie „Hör doch damit auf“ nur wenig, vielmehr verstärken sie das Zwangsverhalten.
Besser ist es, mit dem Betroffenen zu sprechen und ihn zu fragen, wie ihm geholfen werden kann. Einige Betroffene wünschen sich, auf das Verhalten hingewiesen zu werden, um es zu beenden. Andere möchten darauf nicht angesprochen werden.
Es erweist sich als sinnvoll, die Stärken und gesunden Fähigkeiten des Betroffenen zu fördern. Das ist beispielsweise möglich, indem mit dem Betroffenen schöne Dinge unternommen werden, bei denen ihm gezeigt wird, dass er trotzdem liebenswert ist und so akzeptiert wird, wie er ist.
Eigene Versuche, eine „Therapie“ durchzuführen, bringen nichts. Ermahnungen, Bestrafungen oder das Abrasieren der Kopfhaare führen schlimmstenfalls zu einer Verlagerung der Zwangsstörung. Letzteres darf zudem nur mit Einwilligung des Betroffenen geschehen und gilt ansonsten als Körperverletzung. Wesentlich sinnvoller ist, Betroffenen Hilfe bei der Suche nach einem Therapeuten anzubieten. Außerdem ist es ratsam, sich über das Krankheitsbild zu informieren.
Behandlung der Trichotillomanie
Trotz verschiedener Möglichkeiten zur Selbsthilfe ist es für Betroffene in der Regel nicht möglich, allein aus der Zwangsstörung auszubrechen.
Sie benötigen daher therapeutische Hilfe, damit sich die Beschwerden nicht verschlimmern. Bereits bei den ersten Anzeichen einer Trichotillomanie erweist sich die Konsultation eines Arztes als sinnvoll.
Nur eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine zielgerichtete Behandlung. Das gilt umso mehr, wenn sich das zwanghafte Ausreißen der Haare massiv auf die Lebensqualität auswirkt.
Als Zwangsstörung wird Trichotillomanie vorrangig im Rahmen einer Psychotherapie behandelt. Eine Verhaltenstherapie unterstützt dabei den Betroffenen, seine eigenen Verhaltensweisen und die Symptome sowie die Auslöser zu erkennen und an dem Verhalten etwas zu ändern. Während der Therapie lernen Betroffene, mit ihrer Erkrankung sowie den Folgen besser umzugehen.
Meist dauert es eine gewisse Zeit, bis sich feste Handlungsmuster ablegen und durch neues Verhalten ablösen lassen. Deshalb erweist sich zu Beginn als Ergänzung eine medikamentöse Therapie sinnvoll, welche den zwanghaften Impuls unterdrücken und zudem Begleiterscheinungen (z. B. Depressionen, Ängste) entgegenwirken soll.
Ängste und Schamgefühle überwinden
Der Zwang, sich die Haare auszureißen und die daraus resultierenden Folgen wie kahle Stellen lösen bei Betroffenen häufig ein Schamgefühl aus, das sie von einem Arztbesuch abhält. Viele haben zudem Angst, mit ihrem Problem nicht ernst genommen zu werden und scheuen deshalb einen Besuch beim Therapeuten.
Es kann allerdings eine große Befreiung sein, mit einem Therapeuten über die Problematik zu sprechen.
Es kann äußerst hilfreich sein, Ängste und Schamgefühle im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie Trichotillomanie hinter sich zu lassen und Hilfe zu suchen.
Indem man sich dazu entscheidet, Hilfe zu suchen und seine Ängste und Schamgefühle zu überwinden, legt man den Grundstein für die Genesung. Eine professionelle Behandlung kann helfen, die Symptome der Trichotillomanie zu lindern und eine Rückkehr zur normalen Funktion und Lebensqualität zu fördern.
Die Auswirkungen von Trichotillomanie können nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch ihren Familien und Freunden große Sorgen bereiten. Wenn man sich Hilfe sucht, kann man diese Belastung reduzieren und das Verständnis und die Unterstützung der Lieben erhalten.
Es ist normal, sich Hilfe zu suchen, wenn man mit einer psychischen Erkrankung konfrontiert ist. Jeder kann betroffen sein, und es gibt keine Scham oder Schwäche darin, um Hilfe zu bitten.
Je früher man eine Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose. Eine frühzeitige Behandlung kann das Risiko von langfristigen Problemen wie schwerer Depression oder sozialer Isolation verringern.
Sich Hilfe zu suchen, erfordert Mut und Selbstbewusstsein. Indem man sich dazu entscheidet, seine Ängste und Schamgefühle zu überwinden, kann man das Selbstwertgefühl stärken und das Gefühl haben, dass man aktiv an seiner Genesung arbeitet.
Unser Selbsthilfe Ratgeber Artikel bietet wertvolle Ratschläge zur Überwindung von Ängsten und Schamgefühlen, die eine Kontaktaufnahme mit Ärzten behindern könnten.
Wir möchten Sie daran erinnern, dass es keine Schande ist, Hilfe zu suchen, und professionelle Unterstützung eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Trichotillomanie und anderen psychischen Erkrankungen spielen kann. Lesen Sie mehr zur Überwindung einer Angst vor Ärzten in unserem Ratgeber:
FAQ zur Trichotillomanie
Trichotillomanie ist ein psychologisches Störungsbild, bei dem Betroffene zwanghaft Haare ausreißen, wodurch sichtbare Haarausfallstellen entstehen.
Für die Entstehung von Trichotillomanie gibt es nicht „die eine“ Ursache. Es spielen verschiedene psychologische sowie soziale, neurobiologische und genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung.
Ja, zwanghaftes ausreißen der Haare (Trichotillomanie) wird den Zwangsstörungen zugeordnet. Typisches Symptom, das auch bei anderen Zwangsstörungen auftritt, ist die Unfähigkeit, dem Impuls (in dem Fall Haare ausreißen) zu widerstehen. Die Störung beginnt bei etwa einem Drittel der Betroffenen bereits in der Pubertät.
Trichotillomanie ist heilbar. Auch die Prognose ist sehr günstig. Neben einer verhaltenstherapeutischen Behandlung erfolgt zumindest zu Therapiebeginn oft auch eine medikamentöse Behandlung. In manchen Fällen vergeht die Zwangsstörung nach der Pubertät auch wieder von alleine, besonders wenn die Störung nur Phasenweise auftritt.
Haare auf dem Kopf, Augenbrauen, Wimpern und anderen Körperregionen können bei Trichotillomanie ausgerissen werden.
Etwa 1-2% der Bevölkerung sind von Trichotillomanie betroffen, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Trichotillomanie kann zu sichtbarem Haarausfall und zu psychischen Auswirkungen wie Depressionen, Angstzuständen und sozialer Isolation führen.
Verhaltenstherapie kann dazu beitragen, die zugrunde liegenden Ursachen der Trichotillomanie zu identifizieren und zu behandeln, sowie alternative Verhaltensweisen zu erlernen, um das Ausreißen von Haaren zu reduzieren.
Ja, es gibt Selbsthilfegruppen und Online-Foren, die von Menschen mit Trichotillomanie geleitet werden, um Betroffenen Unterstützung und Ratschläge zu bieten.
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Quellen:
- Trichotillomania (hair pulling disorder) – NHS
Autoren, Überprüfung und Gestaltung:
Autorin: Julia Dernbach
Medizinische Überprüfung: Thomas Hofmann
Einarbeitung und Gestaltung: Matthias Wiesmeier