Misophonie

Hass auf Alltags & Essensgeräusche

Als Misophonie wird eine Störung bezeichnet, bei der Betroffene eine verminderte Toleranz gegenüber bestimmten Geräuschen entwickeln. In manchen Fällen entsteht daraus eine sehr starke Abneigung bis hin zu Hass

Manche Misophoniker können nicht an einem Tisch mit ihrer Familie essen, weil sie die Kau- und Schmatzgeräusche nicht aushalten. Andere werden von tropfenden Wasserhähnen oder tickenden Uhren in den Wahnsinn getrieben. 

Wir klären über die Symptome auf, erklären die Auslöser und geben wertvolle Tipps zur Linderung der Misophonie.

Übersicht:
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    Häufige Fragen:

    Der Begriff „Misophonie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt nichts anderes als „Hass auf Geräusche“. Diese Abneigung gilt allerdings nur speziellen Geräuschen wie etwa das Tropfen eines Wasserhahns, Essensgeräusche oder das Ticken einer Uhr.

    Die Misophonie ist aktuell keine anerkannte Erkrankung, wird in keinem der psychiatrischen Standard- und Nachschlagewerke (ICD-10, DSM-V) geführt. Meist orientieren sich Therapeuten im Zusammenhang mit einer Misophonie eher in Richtung Zwangsstörungen oder Phobien.

    Einen klassischen Test zur Diagnose einer Misophonie gibt es nicht. Das Vorliegen einer entsprechenden Störung lässt sich lediglich durch einen Spezialisten (medizinisches Fachpersonal, Therapeuten etc.) feststellen – und das ausschließlich auf individueller Basis. Zwar existieren einige Selbstdiagnoseverfahren (Fragebögen), wissenschaftlich und systematisch untersuch hinsichtlich ihrer Treffsicherheit wurde davon bisher allerdings noch keines.

    Merkmale von Misophonie

    Aufklärung und typische Merkmale von Misophonie

    Was sich hinter dem Begriff „Misophonie“ wird durch die Bedeutung der einzelnen Wortteile schnell klar. Im Griechischen steht „Miso“ für Hass und „Phono“ für Ton

    Bei der Misophonie handelt es sich also um den Hass auf Geräusche bzw. eine verminderte Toleranz gegenüber bestimmten Geräuschen. 

    Zu möglichen Triggern zählt unter anderem:
    Ursprung

    Erstmals aufgetaucht ist der Begriff zu Beginn des 21. Jahrhunderts, geprägt haben ihn die US-amerikanischen Neurowissenschaftler Margaret und Pawel Jastreboff. Gebräuchlich – und eigentlich wissenschaftlich exakter – ist die Bezeichnung „Selective Sound Sensitivity Syndrome“ (übersetzt ins Deutsche: Selektives Geräuschsensitivitäts-Syndrom). Im Gegensatz zu Phobien ruft eine Misophonie keine Angstzustände, sondern eher Aggressionen hervor.

    Misophonie vs. Hyperakusis

    Misophoniker reagieren nicht generell negativ auf laute Geräusche, sie werden lediglich von ganz speziellen Reizen getriggert. Demgegenüber steht die sogenannte „Hyperakusis“, also eine allgemeine Überempfindlichkeit gegen Schall.

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    Ursachen für Misophonie

    Was sind die Ursachen und Auslöser für Misophonie?

    Die Misophonie ist ein in Deutschland weitgehend unbearbeitetes Themenfeld. Es mangelt an systematischer Auseinandersetzung und folgerichtig auch an entsprechender Literatur.

    Zwar wird immer mehr zielgerichtete Forschung betrieben, an dieser Stelle Hypothesen zu besprechen, welche noch nicht von der wissenschaftlichen Community auf ihre Validität hin untersucht wurden, ist aber kontraproduktiv.

    Ursprung in der Kindheit?

    Immer wieder findet sich aber der Ansatz, das Entstehen einer Misophonie mit Erlebnissen in der Kindheit oder durchlebten Traumata zusammenhängt. Dabei wird im Gehirn ein Geräusch mit schlechten Empfindungen verbunden (Ähnliches gilt übrigens auch für Gerüche oder Bilder).

    Aber: Derartige posttraumatische Störungen lösen üblicherweise eher Ängste aus, Misophoniker reagieren auf Geräusche aber vielmehr aggressiv. Eine entsprechende Störung als Auslöser für eine Misophonie ist somit eher unplausibel.

    Konditionierung?

    Einige Fachleute gehen eher von einer Konditionierung aus.1Etiology, Composition, Development and Maintenance of Misophonia: A Conditioned Aversive Reflex Disorder | psyct.swu.bg
    Betroffene verbinden dabei störende Geräusche unbewusst mit negativen Ereignissen aus ihrem bisherigen Leben. Diese Verbindung führt zum Aufkommen von negativen Emotionen. Für diese These spricht, dass bei vielen Misophoniker eine sogenannte Gegenkonditionierung (Verbindung von Geräuschen mit positiven Emotionen/Erlebnissen) gute Ergebnisse gebracht hat.

    Sicher ist jedenfalls, dass negativ konnotierte Geräusche bestimmte Regionen im Gehirn aktivieren. Bei Misophonikern wird besonders die vordere Inselrinde (AIC) angesprochen. Die ist für die Verknüpfung von Sinneseindrücken mit Emotionen verantwortlich.2Misophonie: Wenn Alltagsgeräusche krank machen | aerzteblatt.de

    Symptome einer Misophonie

    Wie macht sich eine Misophoni bemerkbar?

    Sobald Misophoniker bestimmte – für sie unangenehme – Geräusche hören, kommt es zu körperlichen und geistigen Reaktionen. 

    Zu den körperlichen Symptomen zählen:
    Zu den geistigen Symptomen zählen:

    Finden sich Misophoniker in einer für Sie unangenehmen Situation wieder, legen sie oftmals auf den ersten Blick seltsam wirkende Verhaltensweisen an den Tag. Sie ziehen sich zurück, werden auffallend ruhig oder setzen sich von anderen Personen weg.

    Ess- und Schmatzgeräusche

    Abneigung gegenüber Ess- und Schmatzgeräuschen

    Einer der häufigsten Trigger von Misophonikern sind Ess- und Schmatzgeräusche. Eine Abneigung gegen Letztere ist allerdings nicht zwangsläufig ein Zeichen für das Vorliegen einer Misophonie.

    Vielmehr sind es unsere kulturellen Gepflogenheiten in (Mittel)Europa, die das Schmatzen als nicht angemessen erscheinen lassen. In China beispielsweise sind Schmatzen und Schlürfen hingegen Ausdrücke für Genuss.

    Misophoniker leiden nicht nur unter Schmatzen, selbst Kaugeräusche oder knackende/knusprige Lebensmittel können entsprechende Reaktionen hervorrufen. Der Ärger wird mit der Zeit so groß, dass an ein normales Essen und normale Tischkonversationen nicht mehr zu denken ist.

    Alltagsgeräusche

    Abneigung gegenüber Alltagsgeräuschen

    Misophoniker werden nicht nur durch Geräusche getriggert, die von Menschen ausgehen. Auch Alltagsgeräusche können teils extreme Reaktionen auslösen.

    Dazu zählen ganz besonders Reize, die sich (konstant) wiederholen, wie etwa ein tropfender Wasserhahn, das Klicken eines Kugelschreibers, das Ticken einer Uhr.

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    Tipps bei Misophonie

    Selbsthilfe und hilfreiche Tipps bei einer Misophonie

    Wie bei vielen anderen Problemen psychischer Natur ist im Fall einer Misophonie Offenheit gegenüber dem unmittelbaren persönlichen Umfeld wichtig. Menschen fällt es schwer, die Reaktionen von Misophonikern nachzuvollziehen, wenn sie nicht selbst von einer ähnlichen Situation betroffen sind.

    Gehen Sie also offen mit Ihrer Misophonie um, kommunizieren Sie und ziehen Sie sich nicht zurück. Erklären Sie, auf welche Geräusche Sie besonders gereizt reagieren und welche Emotionen diese in Ihnen auslösen. Durch eine Unterhaltung bauen Sie Vertrauen und Verständnis auf.

    Aufgeschlossene Gesprächspartner freuen sich zudem darüber, etwas Neues zu lernen. Und wer weiß, vielleicht hat auch Ihr Gegenüber Geräusche, die ihn in den Wahnsinn treiben.

    Die Gewissheit darüber, mit einem bestimmten Problem nicht allein zu sein, nimmt viel Leidensdruck von Betroffenen.

    Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern gehen Sie offen und ehrlich mit Ihrem Status als Misophoniker um. Von einer sozialen Isolation profitieren Sie selbst am aller wenigsten.

    Geräusche reduzieren

    Tipps und nervige Geräusche zu reduzieren

    Anders als bei menschlichen Geräuschen lassen sich diese Reize allerdings meist mit gezielten Handlungen mindern oder gänzlich ausschalten.

    Behandlung von Misophonie

    Wie lässt sich Misophonie therapieren?

    Der geringe Forschungsstand zum Thema Misophonie lässt die Herausbildung einer allgemeingültigen Generaltherapie bisher noch nicht zu.

    Die allermeisten Erfahrungsberichte stammen von Einzelfällen und den Studien dazu. Untersuchungen von Stichproben mit genug Teilnehmern beschränkten sich bisher auf Verhaltenstherapie und Neurologie.

    Kognitive Verhaltenstherapie

    Wie bei vielen anderen Störungen ist auch im Fall einer Misophonie die kognitive Verhaltenstherapie ein vielversprechender Ansatz. Grundsätzlich geht es dabei darum, eingelernte Verhaltensweisen zu erkennen, aufzubrechen und zu ändern. 

    Folgende Strategien kommen dabei immer wieder zum Einsatz:

    Um all dies für sich zu nutzen, müssen Betroffene unbedingt mit einem Experten (Therapeuten) zusammenarbeiten. Er weiß genau, wann und wie er sämtliche Optionen einsetzen kann und was sie bewirken. Experten können mittlerweile auch über das Internet konsultiert werden.

    Hilfreich sind auch Übungen und Techniken, die Betroffene problemlos auch selbst durchführen bzw. anwenden können, wie etwa Yoga, Thai-Chi, autogenes Training oder progressive Muskelentspannung.

    Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT)

    Zwar unterscheidet sich ein Tinnitus von der Misophonie in grundlegenden Punkten (z.B. der Ort des Auftretens auslösender Reize; intern bei Tinnitus vs. extern bei Misophonie), die Behandlungsmethode wurde allerdings entsprechend angepasst.

    Bei der TRT kommt eine Kombination aus psychologischer Beratung und neuronaler Neugestaltung zum Einsatz. Die dysfunktionalen Verbindungen im Gehirn zwischen dem auditiven, dem limbischen und dem autonomen Nervensystem werden, wenn nicht getrennt, dann zumindest abgeschwächt.

    Gelingen kann dies dank der Prinzipien der Löschung (Extinktion) und der systematischen Desensibilisierung. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei meist um die bewusste Verbindung des verhassten Geräusches mit positiven Empfindungen.

    Auf gar keinen Fall sollten von Misophonie Betroffene zu (verschreibungspflichtigen) Medikamenten und Psychopharmaka greifen. Die Präparate bringen keinerlei Verbesserung und sind hinsichtlich einer möglichen Suchtproblematik bzw. aufgrund ihres Einflusses auf das neuronale Gleichgewicht im Gehirn sehr gefährlich. Sie dürfen nur nach dezidierter Freigabe durch einen Spezialisten eingenommen werden. Kein vertrauenswürdiger Arzt würde einem Misophoniker Medikamente verschreiben.

    Hilfe finden

    Sich in die Situation eines Misophonikers hineinzuversetzen, fällt Außenstehenden sehr schwer. Betroffene leiden unter den Geräuschen mitunter so stark, dass eine Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben fast nicht mehr möglich ist.

    Der erste Rat lautet: Gehen Sie offen mit Ihren Problemen um und schildern Sie Ihnen nahestehenden Personen die Situation. Oft nimmt allein schon diese Ehrlichkeit viel Schärfe aus einer Situation.

    Hilfe durch Psychologen:

    Misophonie kann allerdings nicht nur in der Gesellschaft anderer Menschen auftreten, sondern auch dann, wenn Betroffene komplett allein sind. In diesem Fall hilft auch keine Aussprache.

    Für Hilfe kann sich an einen Therapeuten gerichtet werden. Geeignete Ärzte und Psychologen in unmittelbarer Nähe lassen sich über die Jameda Arztsuche finden. 

    Wer den Gang zu einem Spezialisten scheut, kann auch das stark wachsende Angebot an Online Psychologen in Anspruch nehmen. So können Sie ganz einfach mit einem Therapeuten sprechen, ohne die eigenen vier Wände verlassen zu müssen. 

    Da es hierfür allerdings nur wenig seriöse Portale gibt, raten wir dazu einen örtlichen Psychologen zu konsultieren und anzufragen ob eine Beratung auch über das Internet, oder telefonisch möglich wäre. 

    Online Psychologen:

    Aktuell können wir leider keine Online-Therapie empfehlen. Wir bemühen uns in Zukunft passende Angebote für eine therapeutische Online-Behandlung zur Verfügung zu stellen.

    Übersicht:
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      Quellen:

      1. Etiology, Composition, Development and Maintenance of Misophonia: A Conditioned Aversive Reflex Disorder | psyct.swu.bg
      2. Misophonie: Wenn Alltagsgeräusche krank machen | aerzteblatt.de
      3. What Is Misophonia? – WebMD

      Inhalt wurde verfasst von: Julia Dernbach – Medizinisch überprüft von: Thomas Hofmann

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